Jour Fixe mit Raiffeisen oder: Die Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft – eine Sekte?

► Schreiben von Wilhelm Kaltenborn an die Raiffeisen-Gesellschaft

► Kommentare
Nach Wikipedia ist eine Sekte „eine Bezeichnung für eine religiöse, philosophische oder politische Richtung und ihrer Anhängerschaft … die sich durch ihre Lehre oder ihren Ritus von vorherrschenden Überzeugungen unterscheiden und oft im Konflikt mit ihnen stehen … und wird seit den 1960er Jahren verstärkt im negativen Sinn verwendet.“

Was hat dies nun mit Raiffeisen zu tun? Das Jahr 2018 wird in der Genossenschaftswelt im Zeichen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen stehen, dessen Geburtstag sich am 30. März 2018 zum 200. Mal jährt. Der Mann hat unbestritten große Verdienste. Aus diesem Anlass hat der Vorsitzende der Raiffeisen Gesellschaft, Böhnke, zum Jour Fixe in Vorbereitung dieses Jubiläums geladen.

„Anlass genug, Sie als Mitglied der Raiffeisen-Familie und wichtigen Akteur des Genossenschaftswesens über die Planungen für das Raiffeisen-Jahr umfassend zu informieren.“ So die Einladung auch an Wilhelm Kaltenborn, profunder Kenner des Genossenschaftswesens, Autor mehrerer – auch kritischer – Bücher zur historischen Einordnung und Entwicklung der Genossenschaften in Deutschland und ihrer Akteure Schulze-Delitzsch und Raiffeisen sowie gefragter Referent auf genossenschafts-historischen Tagungen in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Kurzum, Kaltenborn hat die Einladung gerne angenommen und seine Anmeldung wurde auch bestätigt.

Nun waren aber wohl Kaltenborns auch kritische Betrachtungen zu Raiffeisen und zum Antrag der Raiffeisen-Gesellschaft im Rahmen des UNESCO-Weltkulturerbe den einladenden Personen beim Betrachten der Teilnehmerliste übel aufgestoßen. Flugs wurde der Chef des Organisationsbüros Zowislo beauftragt, Kaltenborn telefonisch auszuladen. Was er mit einer gewissen Verlegenheit (vielleicht sogar peinlich berührt) aber durchaus routiniert denn auch tat. Der Vorsitzende Böhnke war wohl zu feige dazu.

Schlussfolgerung: Man will unter sich sein, kritische hinterfragende Stimmen unerwünscht. Vielleicht hätte ja Kaltenborn gefragt, wie der stellvertretende Vorsitzende der Raiffeisen-Gesellschaft Zolk darauf kommt, dass „die Genossenschaftsidee sich von Deutschland aus weltweit bewährt habe“. Eine nachgewiesener Maßen historische Unwahrheit, leicht zu belegen, u. a. wurde die weltweit erste Konsumgenossenschaft bereits im Jahr 1844 von den redlichen Pionieren in Rochdale gegründet, lange vor Raiffeisen und Schulze-Delitzsch, und trat von dort aus ihren Siegeszug an. Vielleicht wäre auch die Frage aufgetaucht, warum die Expertenkommission der UNESCO den Antrag an Deutschland zurückverweisen wollte (etwa gar wegen der historischen Unwahrheiten im Antrag?)?  Oder man hätte vielleicht Raiffeisens Antisemitismus diskutiert – eine normale Erscheinung dieser Zeit, schon bei Luther ein Thema und diskutiert.

Man will keine kritischen Fragen, man hat keine offene Diskussionskultur, man will unter sich sein, nur keine Kratzer an der Fassade, ach du heile Genossenschaftswelt! Bleierne Zeit, wie in der DDR Ende der 1980er. „Bewahren heißt verändern“, möchte man ihnen zurufen.

Egal – Raiffeisen würde sich im Grabe umdrehen ob seiner feigen und rückgratlosen Statthalter und Verwalter seiner „starken Idee“. „Mensch Leute“ – würde er wahrscheinlich sagen, „seid streitbar, bringt die Idee nach vorne anstatt sie nur zu verwalten und jeden freien Geist zu ersticken!“

Aber da sind wir wieder am Anfang – vielleicht nicht bei „Peoples Temple“ aber bei „Neuwieds Temple“ allemal…

Martin Bergner, April 2017


Kommentare von der Website der Raiffeisen-Gesellschaft (inzwischen leider gelöscht)

Manny meint: Das ist doch unglaublich. Die Raiffeisen wollen sich selbst feiern. Kritiker müssen draussen bleiben.

Lieber Herr Mäuserich, vielleicht sehen Sie es zu skeptisch. Vielleicht war es einfach nur so etwas wie ein "intellektueller Selbstschutz", so etwas wie eine natürliche "Welterbe-Barriere". Nehmen wir mal an, Herr Kaltenborn hätte "Nachdenkliches" hinterlegt, dann hätte man spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr /überzeugend sagen können, "Wir haben das nicht gewusst". Solange man tun kann, als habe man es nicht gewusst, lebt man doch einfach unbekümmerter - oder? Herr Kaltenborn könnte wohl auch deshalb ausgeladen worden sein, weil man ihn nicht durcheinanderbringen wollte - auch das ist irgendwie fürsorglich - oder?  Nur gut, dass Herr Raiffeisen schon verstorben ist. So bleibt den Einladenden offensichtlich erspart, nicht genauso fürsorglich behandelt zu werden, wie es Herr Kaltenborn erfahren durfte ...

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