Mindestlohn und andere Regelungen zum Tarifvertragsrecht

Nunmehr ist der am 02. April 2014 von der Bundesregierung für das Gesetzgebungsverfahren beschlossene „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz)“ verfügbar. Wirksam ist das Gesetz in dieser oder in einer geänderten Fassung aber erst nach Abschluss der Beratungen im Bundestag und Bundesrat mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt, geplant für den September.


Der Name des Gesetzes „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ wurde schon als sprachliche Schönfärberei und Verhunzung kritisiert, die „unter falscher Flagge segelt“:
in Wahrheit wird die Tarifautonomie geschwächt – „TarifautonomieverringerungsG“.
Neue Verwirrung kann der jetzt vom Ministerium verwandte Begriff „Tarifpaket“ stiften, da damit an sich mehrere Tarifverträge bezeichnet werden, aber nicht mehrere Gesetze. 

Die wesentlichen Regelungen:

 
A.

1.

Der Mindestlohn beträgt als unterste Grenze des Arbeitsentgelts ab dem 01. Januar 2015 brutto 8,50 € je Zeitstunde. Nach den Erläuterungen der Bundesregierung bleiben Stück- und Akkordlöhne trotzdem weiterhin zulässig, wenn der Mindestlohn für die geleisteten Stunden erreicht wird. Sonderzahlungen u. a. unregelmäßige Zahlungen (z. B. Provisionen) sollen aber bei Ermittlung des Stundenlohnes nicht berücksichtigt werden.
 
2.

Nach der Übergangsregelung in § 24 Mindestlohngesetz – MiLoG sind bis zum 31. Dezember 2016 nur Abweichungen in solchen Tarifverträgen vorrangig, wenn die Tarifvertragsparteien „repräsentativ“ sind und wenn zusätzlich diese Regelungen für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindlich gemacht worden sind, was auf die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines solchen Tarifvertrages und vor allem auf die verbindlichen Rechtsverordnungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG abzielt (hier wäre dann an sich streitig, ob die Branchen- und Flächentarifverträge der KONSUM-Tarifgemeinschaft e. V. „repräsentativ“ in diesem Sinne sind, was aber unerheblich ist, da das AEntG unsere Tarifverträge nicht erfassen wird).

Das AEntG wird u. a. dahingehend geändert, dass es nunmehr für alle Branchen gilt und der Erlass von entsprechenden Rechtsverordnungen erleichtert wird, in dem nur noch ein „öffentliches Interesse“ verlangt wird.
Nach der Übergangsregelung in § 24a AEntG ist bis zum 31. Dezember 2016 eine Unterschreitung des Mindestlohns bei den nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz erlassenen Rechtsverordnungen zulässig, wenn diese Unterschreitung für eine schrittweise Heranführung des Lohnniveaus an den gesetzlichen Mindestlohn erforderlich ist.

Die Übergangsregelungen würden also für die Mitglieder der KTG nicht gelten, der Mindestlohn wäre dann für diese schon ab dem 01. Januar 2015 verbindlich.
 
3.

Das MiLoG gilt für alle Arbeitnehmer und auch für Praktikanten im Sinne von § 26 Berufsbildungsgesetz. Kinder und Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind von der Geltung des MiLoG ausgeschlossen. Ebenfalls ausgenommen sind Auszubildende, ehrenamtlich Tätige und bestimmte Praktikanten, z. B. bei einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a SGB III.

Des Weiteren gilt das MiLoG nicht für die ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses von Arbeitnehmern, die unmittelbar vorher langzeitarbeitslos waren (i. S. von § 18 SGB II: mindestens ein Jahr arbeitslos).

Eine Sonderregelung für geringfügig Beschäftigte fehlt. Wenn deren Arbeitszeit vertraglich festgelegt ist und sei es in Höhe einer bestimmten Mindeststundenzahl, wird bei der i. d. R. durch den Mindestlohn eintretenden Lohnerhöhung der Netto-Lohn jetzt geringer sein; andernfalls erhalten sozialversicherungspflichtig Beschäftigte dann mitunter netto je Stunde erheblich weniger als geringfügig Beschäftigte.

Ausnahmen oder Sonderregelungen für Saisonkräfte (z. B. in der Landwirtschaft; dort oft auch Leistungs- statt Stundenlöhne), spezielle Branchen wie das Taxigewerbe oder Zeitungszusteller (Bezahlung nach Stücklohn!), Altersrentner usw. fehlen.
 
4.

Der Mindestlohn ist fällig zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit des Arbeitsentgelts, spätestens am letzten Bankarbeitstag (Frankfurt a. M.) des auf die Erbringung der Arbeitsleistung folgenden Monats.
 
5.

Bei schriftlicher Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos sind geleistete Mehrstunden innerhalb von 12 Kalendermonaten durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns auszugleichen. Hier und bei der Regelung für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist erkennbar, dass bei einem Anfall von Minusstunden des Arbeitnehmers davon ausgegangen wird, dass diese zu bezahlen sind bzw. vom Arbeitnehmer nicht zu erstatten sind.

Die auf das Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden dürfen monatlich 50 % der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen (z. B. bei Vereinbarung einer Arbeitszeit von monatlich 80 Stunden dürfen nicht mehr als 40 weitere Arbeitsstunden in ein Arbeitszeitkonto eingestellt werden).

Diese Regelungen zum Arbeitszeitkonto stimmen mit zahlreichen Regelungen in
Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nicht überein.
 
6.


Auf einen Anspruch auf Zahlung des Mindestlohnes kann nur im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiches vom Arbeitnehmer verzichtet werden. Eine Vereinbarung über Ansprüche auf Mindestlohn in Aufhebungsverträgen wäre dann nicht möglich.
Eine Verwirkung des Anspruches ist ausgeschlossen.
Die arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Ausschlussklauseln sollen für den Mindestlohn nicht gelten. Sollen diese dann nur für den Stundenlohn oberhalb 8,50 € gelten?
Es bliebe daher nur noch die Verjährung des Anspruchs.

 
7.

Die Nicht- oder nicht rechtzeitige Zahlung des Mindestlohnes kann als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden. Ebenso die Verletzung von bestimmten Vorschriften im Verfahren und zur Überwachung.
 
8.

Es wird eine Mindestlohnkommission gebildet, die erstmals bis zum 10. Juni 2017 mit Wirkung zum 01. Januar 2018 über eine Anpassung der Höhe des Mindestlohnes zu beschließen hat. Anschließend soll jährlich über Anpassungen beschlossen werden.

Die Mindestlohnkommission tagt nicht öffentlich und ihre Beratungen sind vertraulich. Die Mindestlohnkommission kann von der Anpassung des Mindestlohns Betroffene vor ihrer Beschlussfassung anhören, also auch z. B. die KONSUM-Tarifgemeinschaft e. V.
Ein Rechtsmittel gegen die Empfehlungen der Mindestlohnkommission ist nicht möglich, da dies nur eine Empfehlung ohne Außenwirkung an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann, muss aber nicht, die von der Mindestlohnkommission vorgeschlagenen Anpassungen durch eine Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates verbindlich festlegen.

Vor Erlass der Rechtsverordnung erhalten nicht nur die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch andere Vereinigungen von Arbeitgebern sowie die Verbände, die wirtschaftliche und soziale Interessen organisieren, Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb von drei Wochen nach Bekanntmachung des Verordnungsentwurfs. Hier könnte also auch die KONSUM-Tarifgemeinschaft e. V. eine Stellungnahme abgeben.

Gegen die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlassene Rechtsverordnung kann direkt auch kein Rechtsmittel eingelegt werden. Die rechtliche Wirksamkeit und Verbindlichkeit der Rechtsverordnung kann aber auf jeden Fall im Rahmen eines Arbeitsrechtsstreites von den Arbeitsgerichten geprüft und dann bejaht oder verneint werden.
 
9.

Im Arbeitsgerichtsgesetz wird die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren für eine Entscheidung über die Wirksamkeit einer Allgemein-verbindlicherklärung, einer Rechtsverordnung nach AEntG und einer Rechtsverordnung nach dem AÜG festgelegt und nach dem neuen § 98 kann dann u. a. jede Vereinigung von Arbeitgebern (also auch die K-TG) sowie jeder Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach Bekanntmachung einer Allgemeinverbindlicherklärung oder einer entsprechenden Rechtsverordnung ein Verfahren einleiten. Dabei soll ein rechtskräftiger Beschluss über die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung oder einer Rechtsverordnung nicht nur zwischen den Parteien wirken, sondern für und gegen jedermann.

Bei Abhängigkeit einer Entscheidung eines Rechtsstreites von der Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung oder einer Rechtsverordnung ist das gerichtliche Verfahren bis zur Klärung dieser Wirksamkeit auszusetzen.
 
10.

Es wird eine Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit von geringfügig Beschäftigten bis spätestens zum Ablauf des siebten Tages nach der Arbeitsleistung eingeführt.

Dies gilt generell auch in bestimmten Branchen, u. a. im Baugewerbe, Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe und der Fleischwirtschaft (§ 2a Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung) und darüber hinaus für Entleiher von geringfügig Beschäftigten und Arbeitskräften in den genannten bestimmten Branchen.

Diese und andere Unterlagen sind dann bereitzuhalten, ggf. sogar am Ort der Beschäftigung, und mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Entgeltabrechnung und Buchhaltung erfolgen aber in der Unternehmenszentrale oder auch oft bei Personalabrechnungsunternehmen oder Steuerberatern.

Die Prüfung der Zahlung des Mindestlohnes erfolgt durch die Zollverwaltung und im Wesentlichen nach den Vorschriften des SchwarzarbeitsbekämpfungsG. Dabei wird auch ausdrücklich ein Einsichtsrecht der Behörden in Arbeitsverträge, Niederschriften nach dem Nachweisgesetz und andere Geschäftsunterlagen festgelegt.

Ein Verstoß gegen die geänderten Vorschriften des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes kann als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden.
 
11.
 
Das Mindestarbeitsbedingungsgesetz wird aufgehoben. Dieses auf Grund bestimmter Voraussetzungen wenig praktizierte Gesetz erlaubte die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, also auch von einem Mindestlohn.
 
B.

§ 5 Abs. 1 TarifvertragsG wird dahingehend geändert, dass eine Allgemeinverbindlich- erklärung schon erfolgen kann, wenn dies nach Ansicht des Tarifausschusses „im öffentlichen Interesse geboten erscheint“. Dies soll in der Regel dann der Fall sein, wenn die Tarifvertragsparteien darlegen, dass der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich überwiegende Bedeutung hat oder die Absicherung des Tarifvertrages gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung geboten ist.

Dies ist eine Gefahr für alle Tarifverträge der KTG über den Mindestlohn hinaus (vgl. die Bestrebungen der Gewerkschaften und der anderen Arbeitgeberverbände im Einzelhandel um 1995).  
 
C.

Über die Stellung als Arbeitgeber hinaus ist für jedes Unternehmen die Haftung als Auftraggeber von Werk- oder Dienstleistungen für die Zahlung des Mindestlohns zu beachten, § 13 MiLoG. Danach soll der Auftraggeber wie ein Bürge für den Mindestlohn der Arbeitnehmer seines Auftragnehmers oder eines von diesen beauftragten Nachunternehmers oder eines von dem Auftragnehmer oder dem Nachunternehmer beauftragten Verleihers von Arbeitnehmern haften (die Beschränkung der Haftung auf das Nettoentgelt ist weggefallen). Die Haftung entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er weder Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis von der Nichtzahlung des Mindestlohnes durch den Arbeitgeberhatte (Umkehr der Beweislast!).

Bei Kenntnis oder schon einfacher fahrlässiger Unkenntnis davon, dass der Auftraggeber von Werk- und Dienstleistungen keinen Mindestlohn zahlt, kann auch gegen den Auftraggeber ein Bußgeld verhängt werden.  



RA Ulrich Northoff

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