Mindestlohn und erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen - Zwischenstadium der Gesetzgebungsphase

Wenn man sich einmal intensiv mit den verschiedenen Phasen bis hin zum Wirksamwerden eines Gesetzes beschäftigt, ist es schon interessant, was diskutiert wird in der Politik und in den Medien und was nicht, was dabei Politiker, Medien, betroffene Behörden an falschen oder unvollständigen Angaben machen, bewusst oder auf Grund nicht sorgfältiger Beschäftigung mit dem Text des Gesetzentwurfes und anderer Dokumente.

 

Bei dem vom zuständigen Ministerium so genannten „Tarifpaket“, dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie, noch schöner: Tarifautonomiestärkungsgestz, geht es neben dem Mindestlohn vor allem auch darum, dass Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Dies ist insbesondere für die im Einzelhandel tätigen Mitglieder der KONSUM-Tarifgemeinschaft e. V. eine ernst zu nehmende Bedrohung. Schon vor fast 20 Jahren haben einvernehmlich die Einzelhandelsverbände und die Gewerkschaften versucht, die Konsumgenossenschaften unter die Flächentarifverträge des Einzelhandels zu zwingen, was damals gescheitert war. Die geplante Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung wird aber weder in der Politik noch in den Medien, weder vorher noch jetzt im Gesetzgebungsverfahren diskutiert, sondern allenfalls beiläufig kurz erwähnt.

 

Bei der jahrelangen Diskussion und auch jetzt im Gesetzgebungsverfahren wird beim Mindestlohn so gut wie gar nicht diskutiert, welche Höhe dieser generell haben soll. Die insbesondere von den Gewerkschaften (die vor zehn Jahren und zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung noch gegen einen gesetzlichen Mindestlohn waren) lange propagierten 7,50 € wurden plötzlich ohne jedwede Begründung auf 8,50 € erhöht, was von den beiden jetzt herrschenden Parteien nunmehr kommentarlos übernommen wird. „DIE LINKE“ fordert im Übrigen jetzt schon 10,00 €, politische Initiativen außerhalb der Parlamente sogar 13,00 €. Es bleibt aber völlig offen, warum nicht mehr 7,50 €, warum nicht 8,00 € oder warum nicht sogar 9,00 €.

 

Allein diskutiert werden nur Ausnahmen für bestimmte Branchen, wobei die politische Diskussion immer wochenlang „Pause“ hat und dann wieder in vollem Umfang entbrennt.

 

Der Koalitionsvertrag ist zum Thema Mindestlohn relativ ausführlich und konkret. Der Gesetzesentwurf hält sich aber bei der Frage des Verhältnisses bestehender Tarifverträge zum gesetzlichen Mindestlohn nicht an den Koalitionsvertrag, was interessanterweise scheinbar weder von CDU-Politikern, dem Großteil der Medien bis hin zu Industrie- und Handelskammern bemerkt wurde.

 

Ich habe mich daher zu diesem Punkt an einige Politiker und Medien gewandt, die eindeutig das Verhältnis zu bestehenden Tarifverträgen in Äußerungen, Interviews und Beiträgen falsch dargestellt haben. Bezeichnenderweise erfolgte bis auf Standard-Reaktionen keinerlei fundierte Antwort.

 
 
 

Auf das Problem, auf das von verschiedenen Seiten hingewiesen wurde, dass eine geringfügige Beschäftigung im Ergebnis für die Arbeitgeber nicht mehr attraktiv sein wird und sogar diese Arbeitnehmer gegenüber anderen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten bevorzugt werden, wird in der Politik nicht eingegangen. Absurd wird dies aber, wenn in der Zeitungsbranche nunmehr die Mehrkosten durch den gesetzlichen Mindestlohn für die Arbeitgeber durch einen Rabatt bei den Sozialbeiträgen für Zeitungsboten zum Teil ausgeglichen werden sollen. Um das politische Dogma „keine Ausnahmen vom Mindestlohn“ durchzuhalten, sollen dort für fünf Jahre geringere Sozialabgaben für geringfügig Beschäftigte unter den Zeitungsboten in Anlehnung an die geringfügig Beschäftigten in Privathaushalten zugestanden werden (inklusive Pauschalbesteuerung für Arbeitgeber 12,5 % statt 30 %).

 

Den vorliegenden Gesetzentwurf kritisiert der „Nationale Normenkontrollrat“ (NKR) in seiner Stellungnahme als Sachverständiger gem. § 6 Abs. 1 NKRG vom 31. März 2014:

 

„Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des oben genannten Regelungsvorhabens geprüft. …

 

Die Darstellung des Erfüllungsaufwands ist lückenhaft. Im Entwurf werden die wesentlichen Aufwände (die Erhöhung der Lohnsumme durch den Mindestlohn sowie der Aufwand auf Seiten der Zollverwaltung auf Grund der Prüfungen) nicht dargestellt.

 

Bei Überwälzung der Lohn- und Gehaltssteigerungen durch die Unternehmen dürfte eine Erhöhung des Preisniveaus zu verzeichnen sein.

 

Die Darstellung der Regelungsalternativen ist lückenhaft. …

 

Eine grobe Einschätzung der Folgen ist ausreichend und aus Sicht des Rates auch möglich. So hat zum Beispiel das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auf Basis der Daten aus dem Sozio-ökonomischen Panel aus dem Jahr 2012 entsprechende Berechnungen angestellt. Es geht davon aus, dass die Bruttolohnsumme bei Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro infolge der Anhebung der Löhne unterhalb dieser Schwelle im Jahr 2015 um etwa 16 Mrd. Euro ansteigen wird. Es legt dabei zugrunde, dass etwa 4,5 Mio. Arbeitnehmer vom Mindestlohn profitieren dürften. Auf Grund zwischenzeitlicher Lohnerhöhungen kann die Summe auch geringer ausfallen. Ferner kann es auf Grund der Übergangsregelung innerhalb des Übergangszeitraums (2015 bis 2016) zu einer Verringerung der Lohnkostenauswirkungen kommen. …

 

Mit Blick auf die Bedeutung des Vorhabens fehlt dem Gesetzgeber durch die lückenhafte Darstellung der Kostenfolgen und der Regelungsalternativen eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Der Rat macht zu den Ausführungen zum Gesetzentwurf im Rahmen seines Mandats grundsätzliche Bedenken geltend, weil den Anforderungen des NKR-Gesetzes zur Gesetzesfolgenabschätzung und Alternativenprüfung nicht entsprochen wird.“

 
 
Beispielhaft meine e-mail an die Redaktion von „DIE ZEIT“:
 
 
 

Von: Ulrich Northoff
Gesendet: Samstag, 14. Juni 2014 13:53
An: leserbriefe@zeit.de
Cc: kontakt@zeit.de
Betreff: DIE ZEIT Nr. 25/2014 - Mindestlohn, Übergangsregelungen für bestehende Tarifverträge

 

Sehr geehrte Frau Schuler,

sehr geehrter Herr Rudzio,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

ich wende mich an Sie aufgrund Ihres o. a. Artikels bzw. Kommentars.

 

Wahrscheinlich sind Sie bei der Frage des Bestandsschutzes für bestehende Tarifverträge von allen Journalisten an der tatsächlich jetzt bestehenden Situation am nächsten „dran“.

 

Es ist zwar im Koalitionsvertrag so vereinbart und wird so von vielen Medien, Politkern bis hin zu IHK verbreitet, der Gesetzentwurf ist aber zumindest in diesem Punkt ein Bruch des Koalitionsvertrages:

Nach dem Koalitionsvertrag sollten geltende Tarifverträge, bei denen bis zum 31. Dezember 2016 das Mindestlohnniveau nicht erreicht wird, erst ab dem 01. Januar 2017 durch den gesetzlichen Mindestlohn ersetzt werden (2.2 / Seite 49, linke Spalte Mitte).

 

Der Gesetzentwurf sieht aber nur noch Ausnahmen für Tarifverträge vor, die neu über das ArbeitnehmerentsendeG abgeschlossen und abgewickelt werden, für alle anderen bestehenden Tarifverträge aber nicht!

Im Übrigen zeigt sich z. B. bei den mir allein bekannten Bestrebungen, für die Bäckereien jetzt einen Tarifvertrag nach dem ArbeitnehmerentsendeG abzuschließen, dass dies auf Grund des erwarteten Gesetzestextes mit den Gewerkschaften nicht durchführbar sein wird.

 

Bei den meisten unserer Mitglieder hat der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 € bis auf die geringfügig Beschäftigten kaum Auswirkungen. Da durch den Mindestlohn die geringfügige Beschäftigung für den Arbeitgeber keine Vorteile, wenn nicht sogar Nachteile, bringt, werden voraussichtlich bis auf den echten Bedarf an sog. „Aushilfen“ die geringfügig Beschäftigten durch andere Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigte ersetzt.

 

Aber ganz besonders in der Nahrungsmittelindustrie und in strukturschwachen Gebieten sowie bei Betrieben mit einem hohen Frauenanteil bestehen Entgelttarifverträge, bei denen der plötzliche Wechsel auf 8,50 € bereits zum 01. Januar 2015 eine zu hohe Belastung wäre, die auch Arbeitsplätze akut gefährdet.

Für einige Mitglieder der KONSUM-Tarifgemeinschaft e. V. wäre ein längerer Bestandsschutz auch für unsere Tarifverträge wichtig.

 
 

Bei dieser Gelegenheit noch zu einem weiteren Punkt im sog. „Tarif-Paket“, was insbesondere zu Ihrem Kommentar zu der dubiosen Mindestlohn-Kommission passt:

Die Voraussetzung für eine Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen wird dort durch eine Beschränkung auf „das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses“ bei Sicherung der „Effektivität der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen“ unklar, unberechenbar und politischer Willkür ausgesetzt. Auch über die Allgemeinverbindlicherklärung entscheidet eine „Kommission“.

 
 
 

Wenn schon die Allgemeinverbindlicherklärung erleichtert wird, sollte dies maßvoll geschehen und weiterhin dafür eindeutige und notfalls gerichtlich überprüfbare Kriterien festgelegt werden, so z. B. durch einen bestimmten Prozentsatz wie im bisherigen § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG.

 

Durch die Allgemeinverbindlicherklärung droht insbesondere im Einzelhandel, dass unseren Mitgliedern die Flächentarifverträge des allgemeinen Einzelhandels aufgezwungen und die eigenen Tarifverträge verdrängt werden (um 1995 und 2012 konnte dies verhindert werden).

Es ist erkennbar, dass z. B. die ver.di-Funktionäre es sich im Einzelhandel bequem machen und allein auf die Allgemeinverbindlicherklärung der Branchentarifverträge setzen. Daher werden Bestrebungen der Gewerkschaftsmitglieder und der Arbeitnehmer nach erneuten Tarifverhandlungen mit unserem Arbeitgeberverband hintertrieben, in dem sich die Gewerkschaftsfunktionäre weigern, die entsprechende Tarifkommission zu bilden (es wurde sogar ein Gespräch mit Gewerkschaftsmitgliedern dazu verweigert).

 

Wie um 1995 mit Erfolg werden wir notfalls auch 2015 mit gerichtlichen Verfahren es versuchen zu verhindern, dass die Gewerkschaften und die „großen“ Arbeitgeberverbände einträchtig über eine Allgemeinverbindlicherklärung unseren Mitgliedern die Flächentarifverträge aufzwingen.

 

Die KONSUM-Tarifgemeinschaft e. V. ist ein kleiner Arbeitgeberverband, dessen Mitglieder die aktiv wirtschaftlich tätigen Konsumgenossenschaften in den neuen Bundesländern (vgl. früher „im Westen“: Coop) sowie damit in Verbindung stehende Unternehmen sind. Unsere Mitglieder beschäftigen fast 10.000 Arbeitnehmer.

 

Für Rückfragen und weitere Auskünfte stehe ich selbstverständlich zur Verfügung.

 

Herzliche Grüße

 
RA Ulrich Northoff
Hauptgeschäftsführer
KONSUM-Tarifgemeinschaft e. V.
Neue Grünstraße 18
10179 Berlin
Postfach 040480, 10062 Berlin
Telefon:    (030) 27584-201
Telefax:    (030) 27584-202
e-mail:      northoff@konsum-tarifgemeinschaft.de
 

Rechtsform: Eingetragener Verein, eingetragen im Register des AG Charlottenburg unter Nr. 11586 Nz
Vorstand: Werner Rustler (Vorsitzender), Martina Lüdtke (stellv. Vorsitzende), Ralf Bade, Ulrich Northoff

 

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